Green Finance: Für Investoren und Finanzdienstleister wird es unübersichtlich
Die Europawahlen sind geschlagen. Die (alte und neue) EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sieht sich und den Grünen Deal mit Blick auf das Wahlergebnis bestätigt. Europa wird weiterhin mit Nachdruck und viel Regulatorik daran arbeiten, bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent zu werden. Die Flut an Regelwerken für Wirtschaft, Finanzdienstleister und Anleger reißt daher nicht ab.
European Green Bond Standard
Schon im Oktober 2023 hat der EU-Rat die Verordnung zur Schaffung eines Standards für europäische grüne Anleihen angenommen. Darin werden einheitliche Anforderungen an Emittenten von Anleihen festgelegt, die für ihre ökologisch nachhaltigen Anleihen die Bezeichnung „Europäische grüne Anleihe“ oder „EuGB“ verwenden wollen. Der Standard für Green Bonds gilt ab dem 21. Dezember 2024.
Neuer Kriterienkatalog für nachhaltige Finanzprodukte
Bereits seit dem Jahr 2004 gibt es für Finanzprodukte einen Kriterienkatalog des Österreichischen Umweltzeichens. Damit gilt es als das älteste (nachhaltige) Finanzlabel in Europa. Die Kriterien werden alle vier Jahre überarbeitet. Im Verlauf des Jahres 2023 entstand unter Einbindung von rund 300 Experten die überarbeitete Richtlinie UZ49, welche seit 1. Januar 2024 gilt.
Neu sind Green Loans, also Kredite, die ausschließlich der Finanzierung geeigneter „grüner“ Projekte dienen. Ebenfalls aufgenommen wurden Kriterien mit Bezug zur EU-Taxonomie. Zertifizierte Finanzprodukte müssen für alle Investments unter anderem eine Taxonomie-Analyse durchführen. Bis Ende 2025 ist die Taxonomie-Analyse nicht verpflichtend, bringt jedoch Bonuspunkte.
Strengere Regeln für ESG-Ratings
Anfang Februar 2024 haben sich die EU-Institutionen auf strengere Regeln für ESG-Rating-Tätigkeiten geeinigt. Die neuen Vorschriften sollen Zuverlässigkeit und Vergleichbarkeit von ESG-Ratings stärken, indem Transparenz und Richtigkeit von ESG-Daten verbessert. Anbieter von ESG-Rating sollen zukünftig von der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA zugelassen und beaufsichtigt werden.
BaFin-Studie zur Qualität von ESG-Daten
Um die Taxonomie-Konformität ihrer Investitionen und Finanzprodukte bewerten zu können, kaufen Asset Manager – notgedrungen, weil Taxonomie-Daten immer noch Mangelware sind – ESG-Daten von externen (meist US-amerikanischen) Anbietern wie MSCI, ISS oder Bloomberg zu.
Das deutsche Bundesamt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin kritisiert in einer Marktstudie unter 30 deutschen Fondsgesellschaften, dass bis dato kein einheitlicher Standard bezüglich Erhebung und Umgang mit ESG-Daten und Ratings existiert. Die Vergleichbarkeit der Daten sei daher mangelhaft. Das durchschnittliche Budget für ESG-Daten beläuft sich im Geschäftsjahr 2024 auf € 48.000. Diese Kostenbelastung schmälert die Attraktivität von Investmentfonds.
Mystery Shopping der Arbeiterkammer Wien
Im Rahmen eines Mystery Shoppings bei Finanzdienstleistern ging die AK Wien der Frage nach, wie Finanzberater die Pflicht zur Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen umsetzen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine „fundierte nachhaltigkeitsorientierte Beratung zu Finanzprodukten eher zufällig passiert“. Nur 1 von 10 Beratern sprach das Thema Nachhaltigkeit aktiv an.
Als Gründe dafür erkennt die AK Wien unter anderem generelle Ablehnung der Finanzberater gegenüber nachhaltigen Investments, oder deren nur sehr oberflächliche Behandlung. Jeder fünfte Berater riet von nachhaltigen Fonds ab. Als Hauptargumente dafür wurden schlechtere Performance sowie zu kurze historische Wertentwicklungen angeführt.
Interesse an nachhaltigen Geldanlagen schwindet
Das Deutsche Institut für Vermögensbildung und Alterssicherung DIVA ist im Rahmen einer repräsentativen Umfrage unter 2.000 deutschen Personen der Frage nachgegangen, wie groß das Interesse am Kriterium Nachhaltigkeit bei Anlageentscheidungen ist. Ergebnis: Die Relevanz nachhaltiger Investitionen nimmt im Zeitverlauf ab.
Waren es im Sommer 2022 noch 40,6 %, sind es im Winter 2023/24 nur mehr 37,5 % der Befragten, die bei der Geldanlage auch an ESG-Kriterien denken. Umgekehrt spielt Nachhaltigkeit bei 62,5 % der Anleger explizit keine Rolle. Eine wachsende Mehrheit der Befragten (50,9 %) sieht im Thema Nachhaltigkeit lediglich eine Modeerscheinung.
SEC führt klimabezogene Offenlegungen ein
Anfang März 2024 hat die US-Börsenaufsichtsbehörde SEC Regeln für klimabezogene Angaben von börsennotierten Unternehmen verabschiedet. Ähnlich der EU-Offenlegungs-Verordnung müssen auch US-amerikanische Unternehmen Informationen über finanzielle Auswirkungen von klimabezogenen Risiken auf die Geschäftstätigkeit offenlegen. Die Regeln sind schon am 28. Mai 2024 in Kraft getreten, und müssen von großen Unternehmen bereits für das Fiskaljahr 2023 angewendet werden.
Schadet Greenwashing dem Aktienkurs?
Die ESMA ging der Frage nach, welche finanziellen Auswirkungen Greenwashing bzw. ESG-Kontroversen auf Unternehmen haben. Diese Analyse sei wichtig, denn der Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft setze Anlegervertrauen in die Unternehmen voraus, das von Greenwashing bedroht ist. Die ESMA konnte jedoch „keine systematischen Hinweise auf einen Zusammenhang“ zwischen ESG-Kontroversen und Aktienrenditen bzw. Unternehmensbewertungen finden.
ESMA reguliert „grüne“ Fondsnamen
Die ESMA hat Mitte Mai 2024 ihren Abschlussbericht mit Leitlinien für Fondsnamen veröffentlicht, die ESG- oder nachhaltigkeitsbezogene Begriffe in ihrem Namen verwenden. Tragen Fonds „grüne“ bzw. nachhaltigkeitsbezogene Begriffe im Namen, soll ein Mindestanteil von 80 % der Investitionen dem Erfüllen ökologischer, sozialer Merkmale oder nachhaltiger Anlageziele dienen. Gleichzeitig gelten Ausschlusskriterien für bestimmte („schmutzige“) Industriesparten.
Sobald die Leitlinien angewendet werden müssen, haben bestehende Fonds, deren Namen nicht den ESMA-Kriterien entsprechen, nur 6 Monate Zeit, um diesen zu ändern. Experten sagen angesichts der strengen ESMA-Regeln voraus, dass zukünftig mehr grün drinnen sein wird als außen draufsteht.
Dieser Beitrag ist auch im Börsen-Kurier Nr. 30-31 vom 25. Juli 2024 erschienen.