Die FMA vertritt hinsichtlich nachhaltigkeitsbezogener Informationspflichten eine Inselmeinung.
Seit März 2021 müssen Finanzdienstleister Informationen zu nachhaltigen Aspekten von Finanzprodukten und -dienstleistungen veröffentlichen. Seit Januar 2023 präzisieren technische Regulierungsstandards, kurz RTS, Inhalt, Methoden und Darstellung dieser Offenlegungen. In einer Pressemitteilung bezeichnet die Finanzmarktaufsicht die Standards als „praxisnahe“. Eine Einschätzung, die nicht jeder teilt, wie die Praxis zeigt.
Die EU-Offenlegungsverordnung legt auf knappen 16 Seiten eher allgemein fest, WAS von Herstellern nachhaltiger Finanzprodukte und Finanzberatern offenzulegen ist. WIE diese Veröffentlichungen auszusehen haben, präzisieren die RTS auf stolzen 72 Seiten. Schon der Titel der Delegierten Verordnung (EU) 2022/1288 erstreckt sich auf 92 Wörter. Diese ausufernde Liebe zum Detail setzt sich in den 68 enthaltenen Artikeln fort.
Finanzmarktteilnehmer, also Hersteller von Finanzprodukten wie Investmentfonds und Versicherungsanlageprodukten, sowie Finanzberater, die zu diesen Produkten beraten, müssen auf ihren Internetseiten darüber informieren, ob sie die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren, kurz PAIs, bei Investitionsentscheidungen bzw. bei der Anlage- und Versicherungsberatung berücksichtigen. Und wenn ja, wie.
PAIs: Abkürzung für Principal Adverse Impacts, wichtige nachteilige Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren.
RTS: Abkürzung für Regulatory Technical Standards, Technische Regulierungsstandards, welche Umsetzungsdetails zu EU-Rechtsakten enthalten.
Nachhaltigkeitsfaktoren: Laut Offenlegungs-Verordnung sind das Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelange, die Achtung der Menschenrechte und die Bekämpfung von Korruption und Bestechung.
Produkthersteller und Finanzberater, die keine PAIs berücksichtigen, können sich kurzhalten. Sie müssen diesen Umstand lediglich offenlegen und die Gründe dafür bekanntgeben.
Für Produkthersteller, die nachhaltige Finanzprodukte anbieten, also nachteilige Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren bei ihren Investitionsentscheidungen berücksichtigen, geben die RTS standardisierte Muster vor, und verweisen bezüglich der Inhalte auf drei Tabellen im Anhang. Diese Tabellen ziehen den Bestimmungen den Zahn der Praxistauglichkeit.
Offenzulegen ist eine Flut an Daten zu Unternehmen, in die investiert wird, beispielsweise der CO2-Fußabdruck nach Scope 1, 2 und 3 und die Treibhausgas-Emissionsintensität. Zusätzlich ausgewählte Klima- und Umweltindikatoren wie „Tonnen Äquivalent anorganischer Schadstoffe pro investierter Million EUR, ausgedrückt als gewichteter Durchschnitt“ und Indikatoren der Bereiche Soziales und Beschäftigung, Achtung der Menschenrechte, Bekämpfung von Korruption und Bestechung, wie die „Unfallquote, ausgedrückt als gewichteter Durchschnitt“.
Alles unbestritten wichtige nachhaltigkeitsbezogene Informationen – wenn es die Unternehmensdaten in diesem Umfang und Detailgrad geben würde. Das ist aber nicht der Fall. Kein börsennotiertes Unternehmen aus Europa berichtet so detailliert, noch dazu quartalsweise, Unternehmen aus Nicht-EU-Staaten schon gar nicht.
Ganz zu schweigen davon, dass es sich stets um Informationen aus der Vergangenheit handeln würde, die nicht zwingend Relevanz für die Gegenwart oder Zukunft haben. Einmal mehr entfernt sich die EU mit ihrem Wunschdenken weit von der Realität.
Abhilfe könnten die neuen Pflichten zur Nachhaltigkeitsberichterstattung schaffen. Diesem kommen aber erst 2029 (!) vollständig zur Anwendung. Quartalsweise Berichte bzw. Daten sind auch darin nicht vorgesehen, viele Small und Mid Caps aus Nicht-EU-Staaten werden zudem nie unter die Berichtspflicht fallen.
In der Praxis reagieren Produkthersteller auf dieses Daten-Dilemma pragmatisch. Sie verzichten zunehmend auf nachhaltige Finanzprodukte im Sinne der EU-Regularien. Die damit verbundenen aufsichts- und zivilrechtlichen Risiken, insbesondere auch Reputationsrisiken, sind schlichtweg zu hoch.
Praxisnahe, wie die FMA meint, sind die RTS nicht ausgefallen. Für die deutsche Aufsicht BaFin bergen sie in der Praxis Herausforderungen, nicht zuletzt wegen der mangelnden Datenverfügbarkeit.
Dieser Beitrag ist erstmalig im Börsen-Kurier 03-2023 erschienen.