Technische Regulierungsstandards zur Offenlegungs-Verordnung führen zu Handlungsbedarf
Vieles im Zusammenhang mit Sustainable Finance kommt mit erheblicher Verspätung. So auch die technischen Regulierungsstandards, kurz RTS, zur Offenlegungs-Verordnung. Seit 1. Januar 2023 sind sie anzuwenden und erfordern mehr oder weniger umfangreiche Anpassungen der vorhandenen Offenlegungen.
Schon seit 10. März 2021 müssen Finanzmarktteilnehmer und Finanzberater gemäß Offenlegungs-Verordnung bestimmte nachhaltigkeitsbezogene Informationen veröffentlichen. Diese EU-Verordnung regelt in eher allgemeinen Worten, WAS offenzulegen ist. Auf das WIE in Form von technischen Regulierungsstandards, kurz RTS, musste die Finanzindustrie lange warten.
Seit 15. August 2022 sind die RTS in Form der Delegierten Verordnung (EU) 2022/1288 in Kraft. Seit 1. Januar 2023 müssen die Bestimmungen erstmals angewendet werden. Das bedingt Anpassungen der vorhandenen Offenlegungen.
Fast eineinhalb Jahre Verspätung
Mangels RTS haben Finanzmarktteilnehmer (Hersteller von Finanzprodukten) und Finanzberater (u.a. Versicherungs- und Anlageberater bzw. deren Haftungsdächer) seit März 2021 die geforderten Informationen ohne klare Vorgaben nach bestem Wissen und Gewissen veröffentlicht.
Vielleicht begründet sich die Verzögerung von fast eineinhalb Jahren darin, dass die technischen Regulierungsstandards mit 72 Seiten exakt viereinhalb Mal so lang sind wie die zu Grunde liegende Offenlegungs-Verordnung, die mit 16 Seiten auskommt. Entsprechend detailverliebt sind die Bestimmungen.
Die RTS enthalten auch die Details zu den regelmäßigen Berichten über nachhaltige Finanzprodukte im Sinne der Offenlegungs-Verordnung. Der damit verbundene Aufwand ist enorm, zudem fehlen die erforderlichen Nachhaltigkeitsdaten von Unternehmen. Als eine Folge der wenig praxisnahen Bestimmungen legen viele renommierte Produkthersteller die Kennzeichnung „Artikel 9“ und zunehmend auch „Artikel 8“ zurück. Zu groß sind die aufsichts- und zivilrechtlichen Risiken, zu hoch ist die Gefahr von Reputationsschäden.
Anpassungen für Finanzberater
Änderungen ergeben sich im Zusammenhang mit den wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren bei der Versicherungs- oder Anlageberatung (Artikel 4 der Offenlegungs-Verordnung).
Finanzberater wie Haftungsdächer und Versicherungsvermittler, die (in der Vergangenheit sowie in Zukunft) keine nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigen, brauchen lediglich die in den RTS explizit vorgegebene Überschrift „Keine Berücksichtigung nachteiliger Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren bei der Versicherungs-/Anlageberatung“ ergänzen.
Angesichts der Tatsache, dass seit 2. August 2022 die Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden erfragt werden müssen, stellt sich allerdings die Frage, ob das Nicht-Berücksichtigen weiterhin die eleganteste Lösung ist. Denn nachteilige Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren, die so genannten PAIs, sind Teil dieser Abfrage. Nennen Kunden PAIs, dann müssen diese berücksichtigt werden.
PAIs: Abkürzung für Principal Adverse Impacts, wichtige nachteilige Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren.
RTS: Abkürzung für Regulatory Technical Standards, Technische Regulierungsstandards, welche Umsetzungsdetails zu EU-Rechtsakten enthalten.
Nachhaltigkeitsfaktoren: Laut Offenlegungs-Verordnung sind das Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelange, die Achtung der Menschenrechte und die Bekämpfung von Korruption und Bestechung.
Eher der Praxis entspricht es, wenn veröffentlicht wird, dass PAIs bei der Anlage- und Versicherungsberatung berücksichtigt werden. Dann sind gemäß Artikel 11 der RTS unter der Überschrift „Erklärung über die Berücksichtigung der wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren bei der Versicherungs-/Anlageberatung“ Einzelheiten zum Verfahren, das bei der Auswahl der Finanzprodukte angewendet wird, offenzulegen. Als Verfahren kann der Ablauf der Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen dienen bzw. beschrieben werden.
Faktisch ändert das Berücksichtigen der PAIs auf Basis der Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen an der Beratungspraxis nichts. Nennt der Kunde PAIs, werden geeignete Finanzprodukte gesucht und ggf. empfohlen. Nennt der Kunde keine PAIs, oder finden sich keine geeigneten Finanzprodukte, spielen diese bei der Produktauswahl keine Rolle bzw. darf dem Kunden nichts empfohlen werden.
Zur Klarstellung: Wenn Finanzberater veröffentlichen, dass sie PAIs berücksichtigen, heißt das nicht, dass sie das tun müssen. Es kommt – wie spätestens seit 2. August 2022 sowieso – darauf an, ob Kunden überhaupt PAIs nennen. Tun Kunden das, wie in sehr vielen Fällen, nicht, brauchen auch keine PAIs berücksichtigt werden.
Erfüllungsgehilfen von Wertpapierfirmen (vertraglich gebundene Vermittler und Wertpapiervermittler) brauchen nichts selbst offenlegen, sie können sich weiterhin auf ihr jeweiliges Haftungsdach verlassen. Versicherungsvermittler hingegen müssen ihre vorhandenen Offenlegungen eigenverantwortlich anpassen.
Anpassungen für Finanzmarktteilnehmer
Viele Wertpapierfirmen, die Portfolioverwaltung erbringen, veröffentlichen bisher, dass sie PAIs bei Investitionsentscheiden nicht berücksichtigen. Bleiben sie dabei, dann ist gemäß Artikel 12 der RTS lediglich die Überschrift „Keine Berücksichtigung nachteiliger Auswirkungen der Investitionsentscheidungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren“ zu ergänzen.
Finanzmarktteilnehmer, die nachteilige Auswirkungen der Investitionsentscheidungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren jedoch berücksichtigen, haben spätestens bis 30. Juni 2023 die Bestimmungen der Artikel 4 bis 10 der RTS zu erfüllen. Dies hat in einem Abschnitt mit dem Titel „Nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungen“ zu erfolgen. Diese Offenlegungen bedingen jedenfalls eine individuelle bzw. produktspezifische Detailbetrachtung.
Alles andere als praxisnahe
Die Bestimmungen der Artikel 4 bis 10 in Verbindung mit den in Anhang I Tabelle 1 bis 3 enthalten Listen mit PAIs und nachhaltigkeitsbezogenen Indikatoren (die als Vorlagen dienen sollen) sind ein wesentlicher Grund dafür, dass Produkthersteller zunehmend auf nachhaltige Finanzprodukte gemäß Artikel 8/9 verzichten. Denn, wie erwähnt, der Aufwand ist enorm und die erforderlichen Unternehmensdaten kaum verfügbar.
Praxisnahe, wie die Finanzmarktaufsicht die RTS zuletzt in einer Pressemitteilung genannt hat, sieht anders aus. Die deutsche Aufsicht BaFin sieht im Gegensatz dazu in der Praxis Herausforderungen, nicht zuletzt wegen der mangelnden Datenverfügbarkeit.
Dieser Beitrag ist erstmal im Magazin risControl, Ausgabe 01 2023, erschienen.