Die Industrie handelt nachhaltig. Auch ohne gesetzlichen Druck.
Die Zeiten, in denen sich die Wirtschaft auf freiwilliger Basis mit Klima- und Umweltschutz beschäftigt hat, sind vorbei. Europas Grüner Deal beschert der Wirtschaft eine Flut an nachhaltigen Pflichten. Denn, so EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen 2019 bei dessen Präsentation, eine moderne, ressourceneffiziente und wettbewerbsfähige Wirtschaft ist das zentrale Element zum Erreichen der Klimaneutralität bis 2050.
Modern, sprich innovativ, sparsam mit Ressourcen und wettbewerbsfähig, also erfolgreich, zu sein, sind von Natur aus Kernelemente der Wirtschaft, vom kleinen Ein-Personen-Unternehmen bis zum internationalen Konzern. Alleine um dies der Wirtschaft ins Pflichtenheft zu schreiben, hätte es keines Grünen Deals bedurft. Die EU fordert jedoch explizit mehr Engagement für das Bewältigen klima- und umweltbedingter Herausforderungen.
Die Industrie gestaltet den ökologischen Wandel schon viel länger aktiv als sich die EU das Retten des Weltklimas auf die Fahnen geschrieben hat. Nicht erst seit 2019 setzen sich im harten Wettbewerb – um Marktanteile, Kunden und Mitarbeiter – die innovativsten Unternehmen durch, die gleichzeitig wertvolle Ressourcen, wie Rohstoffe und Energie, effizient einsetzen. Triebfeder dafür war lange Zeit primär der Shareholder Value. Eigentümer und Aktionäre wollten und wollen sich über Gewinne und Dividenden freuen.
Mit den zunehmend spürbaren Folgen des Klimawandels, wie extremen Wetterereignissen und global steigenden Durchschnittstemperaturen, gesellen sich zu den kapitalgetriebenen Unternehmensaktivitäten spätestens seit den 2000er-Jahren nachhaltige und umwelt- bzw. klimabezogene Maßnahmen. Steigende Energiepreise verstärken beispielsweise die Notwendigkeit zur Ressourceneffizienz ganz automatisch, auch ohne EU-Energieeffizienz-Richtlinie. Der regulatorische Druck soll den Ausstieg aus den – lange Zeit sehr günstigen – fossilen Energieträgern wie Öl und Gas beschleunigen.
Klimarisiken haben endgültig Einzug ins Risikomanagement gehalten. Stehen Betriebsgebäude in (potentiellen) Hochwassergebieten? Verursachen steigende CO2-Steuern und Investitionen in emissionsarme Produktionsmethoden zusätzliche betriebswirtschaftliche Belastungen? Diese und viele weitere Fragen müssen sich Unternehmen heutzutage stellen. Im Sinne der doppelten Wesentlichkeit gilt es zu analysieren, welche Auswirkungen die Geschäftstätigkeiten auf Klima, Umwelt und Gesellschaft haben (Inside Out), sowie umgekehrt wie sich die Folgen des Klimawandels auf die finanzielle Fitness von Unternehmen auswirken (Outside In).
Auch Banken und Versicherungen, die nachhaltigkeitsbezogene Risiken seit 2021 bei ihren Investitionen berücksichtigen müssen, drängen Unternehmen zunehmend, sich mit ihren relevanten Klimarisiken zu beschäftigen. Verursachte CO2-Emissionen, Abfallmanagement, Sorgfaltspflichten in der Lieferkette und geschlechterneutrale Entlohnung werden zu entscheidenden Faktoren für Kreditkonditionen und Versicherungsprämien.
Im Finanzbereich vollzieht sich gerade ein Wandel. Die EU-Kommission hat erkannt, dass Investitionskapital nicht nur in Unternehmen fließen sollte, die heute bereits nachhaltig wirtschaften. Viel mehr benötigen jene Betriebe frisches Kapital, die ihren Übergang vom „schmutzigen“ zum „grünen“ Wirtschaften finanzieren müssen. Transition Finance nennt die EU dieses Modell, an dem noch gearbeitet wird.
Im Finanzbereich vollzieht sich gerade ein Wandel. Die EU-Kommission hat erkannt, dass Investitionskapital nicht nur in Unternehmen fließen sollte, die heute bereits nachhaltig wirtschaften. Viel mehr benötigen jene Betriebe frisches Kapital, die ihren Übergang vom „schmutzigen“ zum „grünen“ Wirtschaften finanzieren müssen. Transition Finance nennt die EU dieses Modell, an dem noch gearbeitet wird.
Angesichts der ausufernden Flut an Regelwerken von CSRD & ESRS (Nachhaltigkeitsberichterstattung) über EUDR (Entwaldungsverordnung), CBAM (CO2-Granzausgleichssystem), CSDDD (Lieferkettenrichtlinie), ECGT & GCD (Verbraucherschutz- und Umweltaussagen-Richtlinie) bis hin zu EAA (Barrierefreiheit) kritisiert die europäische Wirtschaft die massive Überbürokratisierung. Was teure Berater und Experten, ohne die die komplexen Regelungen kaum zu durchschauen und umzusetzen sind, freut, kostet Unternehmen viele Millionen Euro. Geld, dass für nachhaltige Maßnahmen, die tatsächlich wirksam für Klima und Umwelt wären, fehlt.
Mindestens so kontraproduktiv sind drohende Sanktionen. Beispielsweise befürchten europäische Autohersteller Strafzahlungen von bis zu € 13 Mrd., weil sie die ab 2025 geltenden Emissionsziele ihrer Fahrzeugflotten nicht erreichen. In Zeiten lahmender PKW-Verkäufe und sinkender Rentabilität saugen solche Sanktionen Kapital ab, das im Sinne des Klimaschutzes besser in Forschung, Innovation und Entwicklung fließen sollte.
Aus der EU abwandernde, auch „grüne“ Schlüsselindustrien und gestoppte Milliardeninvestitionen internationaler Konzerne lassen auf EU-Ebene eine Wende erkennen. Im März 2024 nannte EVP-Chef Manfred Weber das Verbrenner-Aus für PKW ab 2035 einen schweren industriepolitischen Fehler. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen rief Ende August zum Ausbau der – lange Zeit verpönten – Atomkraft auf. Anfang Oktober schlug die Kommission selbst vor, die Anwendung der weltweit kritisierten EU-Entwaldungsverordnung um ein Jahr auf Ende 2025 zu verschieben.
Ein Beispiel dafür, dass innovative Unternehmen gänzlich ohne gesetzliche Vorgaben nachhaltig handeln, ist die Rosenbauer International AG, weltweit größter Feuerwehrausstatter mit Sitz in Leonding bei Linz. „Im Zuge unseres Innovationsprozesses haben wir schon mit unserer ersten Fire-Fighting Trend Map 2012 den Fokus verstärkt auch auf das Klimathema gelegt.“, sagt Tiemon Kiesenhofer, Head of Investor Relations, zurecht mit Stolz.
Bereits 2012, lange bevor sich die EU um das Aus für Verbrennungsmotoren in PKW kümmerte, begann im Dialog mit Stakeholdern die Entwicklung eines elektrisch angetriebenen Feuerwehrautos für Kommunen. Zu den Innovationen der von Grund auf neu konzipierten E-Fahrzeuge zählt neben verbesserter Ergonomie und Sicherheit für die Feuerwehrleute auch die Neuplatzierung der Batterie. Diese befindet sich nicht – wie bei E-LKWs üblich – zwischen den Achsen, sondern zentral im Fahrzeug. 2022 folgte der nächste Meilenstein: die Präsentation des Konzeptfahrzeuges PANTHER 6×6 electric, einem vollelektrischen Flughafenlöschfahrzeug.
„Flughäfen haben großteils ehrgeizige Ziele: An die 100 wollen bereits 2030 klimaneutral sein, darunter Amsterdam, Delhi, London City, Marseille, Rom und Vancouver. Dabei unterstützen wir unsere Kunden zukünftig mit dem PANTHER 6×6 electric.“, erklärt Tiemon Kiesenhofer. Mit 720 kw (890 PS) Leistung, mit Boost sogar auf 880 kw (1.200 PS), beschleunigt das Fahrzeug seine über 40 t Gesamtgewicht in unter 20 Sekunden auf 80 km/h. „Diese enorme Beschleunigung zu erleben, ist nicht nur faszinierend, sondern unverzichtbar, denn am Flughafen müssen Löschfahrzeuge binnen 2 Minuten an jedem Brandort sein.“, so Kiesenhofer.
Nominal kann die Batterie 256 kWh Energie speichern, die Ladedauer von 0 % bis 100 % beträgt weniger als 45 Minuten. Dieserart elektrisch angetrieben geht die Rosenbauer International AG aktuell davon aus, dass jeder PANTHER 6×6 electric in einem Lebenszyklus von 15 Jahren etwa 400 t lokale CO2-Emissionen einsparen kann. Bestellungen werden seit 1. Oktober 2024 angenommen.
Dieses Beispiel zeigt trefflich, dass Industrie und Wirtschaft, alleine schon aus eigenem Interesse und Antrieb, zum Erreichen von ESG-Zielen beitragen. Unternehmen aller Branchen und Größen werden das auch in Zukunft vermehrt tun und als Vorbild sowie Innovator vorangehen. Denn die Anstrengungen im Kampf gegen den Klimawandel müssen intensiviert werden. Dies kann aber nur gelingen, wenn auf politischer Ebene die Erkenntnis einkehrt, dass die Versäumnisse der letzten 50 Jahre nicht binnen weniger Jahre aufgeholt werden können.
Diesser Artikel ist erstmals im ESG-Special 2024 des Börsen-Kurier erschienen.