EU-Lieferkettengesetz: Unverzichtbar oder Bürokratie-Monster?
„Sicherstellen, dass niemand zurückbleibt“, diese Formulierung ist neu im Entwurf des EU-Lieferkettengesetzes (Corporate Sustainability Due Diligence Directive CSDDD). Beim gerechten Übergang zur Nachhaltigkeit soll sichergestellt werden, dass in den globalen Wertschöpfungsketten niemand zurückgelassen wird.
WIFO-Experte Klaus Friesenbichler sieht in einem Ö1-Interview die größte Schwachstelle darin, dass jede einzelne Lieferbeziehung – er schätzt die Anzahl auf insgesamt 900 Mio. bei rund 30 Mio. Unternehmen – überprüft werden müsste. Das ergäbe große Haftungsrisiken für Unternehmen, und die Kontrolle wäre nur schwer administrierbar.
Kündigung als letzte Konsequenz
Unternehmen sollen ihre Lieferanten rund um den Globus risikobasiert durchleuchten sowie dabei festgestellte negative Auswirkungen beheben und gemeinsam mit dem Lieferanten Abhilfemaßnahmen setzen. Führt diese Zusammenarbeit nicht zu Verbesserungen, müssen in letzter Konsequenz Verträge ausgesetzt oder gekündigt werden.
Kritiker geben zu bedenken, dass sich mit dem Rückzug von EU-Unternehmen aus Ländern bzw. von Lieferanten mit prekären Arbeitsbedingungen erst recht nichts verbessert. Es ist also fraglich, ob die weitreichenden Sorgfaltspflichten überhaupt bei den betroffenen Menschen ankommen.
Von Ausbildung bis Kredit
Abhilfemaßnahmen können zum Beispiel Schulungen oder Verbesserung von Managementsystemen sein. Auch die gezielte finanzielle Unterstützung, zum Beispiel durch günstig verzinste Kredite und Garantien wird angeführt. Hier übersieht die CSDDD offensichtlich, dass solche Finanzgeschäfte grundsätzlich Banken vorbehalten sind.
Die Frage wird sein, wie KMU mannigfaltige Abhilfemaßnahmen „wo notwendig“ mit ihren eingeschränkten personellen und finanziellen Ressourcen bewerkstelligen sollen. Und, ob das jeweilige Einkaufsvolumen, das bei kleinen Lieferanten nur wenige Euro betragen kann, diesen Aufwand überhaupt wirtschaftlich rechtfertigt.
Einbindung der Stakeholder
Stakeholder wie Mitarbeiter, direkte und indirekte (!) Lieferanten sowie deren Eigentümer sollen „sinnvoll und wirksam“ in alle Schritte der Due Diligence und ESG-Strategie eingebunden werden. Gefordert werden „echte Interaktion und Dialog“, das heißt, reine Information reicht nicht aus. Genau genommen gilt dies auch bei Beendigungen von Geschäftsbeziehungen. In diesem Zusammenhang sollten auch, wettbewerbs- und datenschutzrechtliche Aspekte berücksichtigt werden, insbesondere, wenn es sich um sensible Daten oder Geschäftsgeheimnisse handelt.
Rolle der Finanzindustrie
NGOs und Umweltorganisationen forderten, dass nicht nur Banken und Versicherungen in das EU-Lieferkettengesetz einbezogen werden müssen, sondern auch Investoren und Vermögensverwalter, denn diesen hätten erheblichen Einfluss auf Unternehmen, in die sie investieren. Durchgesetzt haben sie sich damit nicht. Die „downstream“-Verantwortung in der nachgelagerten Wertschöpfungskette soll nicht kommen. Allerdings wird die EU-Kommission aufgefordert, dies binnen zwei Jahren neu zu bewerten.
Dieser Beitrag ist erstmals im Börsen-Kurier Nr. 10 vom 7. März 2024 erschienen.