Die Treffsicherheit der EU-Taxonomie lässt zu wünschen übrig.
Im Rahmen des Grünen Deals sollen Anlagegelder verstärkt in nachhaltige Investitionen umgelenkt werden. Diese orientieren sich an den ESG-Zielen, also Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung. Gut ist im Sinne der EU-Taxonomie, was wenig Treibhausgas-Emissionen freisetzt. Viele Investoren und Asset Manager meiden daher emissionsintensive Unternehmen. Bräuchten aber nicht genau diese Unternehmen frisches Kapital, um ihre Emissionen zu reduzieren?
Ein Vorwurf, den sich EU-konforme nachhaltige Investments zunehmend gefallen lassen müssen, ist, dass sie ihren Fokus zu sehr auf Umweltaspekte legen und gesellschaftliche Ziele sowie gute Unternehmensführung vernachlässigen. Dies ist der unvollständigen EU-Taxonomie geschuldet, die bis heute nur Umweltziele kennt. Über eine Sozial-Taxonomie, die auch Aspekte der guten Unternehmensführung beinhalten soll, wird auf europäischer Ebene erst diskutiert.
Taxonomie-konform können Asset Manager und Anleger also nur im Hinblick auf Umweltziele investieren. Erschwerend kommt hinzu, dass es aktuell nur für zwei von sechs Umweltzielen Bewertungskriterien gibt, die bestimmen, unter welchen Voraussetzungen eine wirtschaftliche Tätigkeit einen wesentlichen Beitrag zum Erreichen eines Umweltzieles leistet. Die bereits vorhandenen Bewertungskriterien für Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel berücksichtigen zudem nur etwa 100 Wirtschaftstätigkeiten. Selbst das „grünste“ Unternehmen gilt als nicht Taxonomie-konform, wenn es das Pech hat, nicht im Kriterienkatalog vorzukommen.
So gesehen ist der Vorwurf einerseits gerechtfertigt, aber andererseits auch ungerecht. EU-konforme nachhaltige Finanzprodukte können auf Basis der aktuellen Regularien nur Umweltzielen entsprechen. Die EU kennt noch nicht mehr.
Dazu gesellt sich eine weitere Eigenheit der EU-Taxonomie. Das zentrale Bewertungskriterium sind die verursachten Treibhausgas-Emissionen eines Unternehmens. Als besonders „grün“ gelten jene Wirtschaftstätigkeiten, die bereits heute einen geringen Treibhausgas-Ausstoß im Verhältnis zu ihrer Marktkapitalisierung haben. In global investierenden Portfolios, die einen geringen CO2-Fußabdruck ausweisen, finden sich daher oftmals Positionen wie Microsoft, Alphabet und Amazon wieder.
Logisch, denn diese Dienstleister machen enorm große Umsätze, haben aber keine „schmutzige“ (Industrie-)Produktion – und sind daher gemäß EU-Taxonomie „supergrün“. Die Frage, wie sozial sie sind und wie fair ihre Geschäftspraktiken sind, stellt sich nicht, denn dafür kennt die EU noch keine Messgrößen.
Eine weitere Kritik, die sich nachhaltige Investments daher gefallen lassen müssen, ist, dass genau jene Unternehmen und Industrien kein frisches Kapital erhalten, die dieses benötigen würden, um durch Investitionen und Innovationen emissionsärmer zu werden. Im Sinne der EU-Taxonomie werden „grüne“ Wirtschaftstätigkeiten mit Geld überschwemmt, anstatt „schmutzige“ bei ihrem Übergang zur Klimaneutralität zu unterstützen. Dies geht so weit, dass sogar Gelder aus Schwellenländern abgezogen wird. Dabei sind gerade diese unverzichtbar für das große Ziel der EU: die Rettung des Weltklimas.
Es gibt Pläne, die EU-Taxonomie um eine „rote“ und „gelbe“ Kategorie zu erweitern. Damit wären auch Wirtschaftstätigkeiten, die ein Umweltziel wesentlich beeinträchtigen, bzw. die kein Umweltziel erheblich beeinträchtigen, zugleich aber auch (noch) keinen wesentlichen Beitrag zum Erreichen eines Umweltzieles leisten, Taxonomie-konform. Bleibt am Ende die Frage, ob Anleger Transitionsprozesse finanzieren, oder nicht doch lieber gleich „grün“ investieren.
Dieser Artikel ist erstmalig im Börsen-Kurier vom 1. Dezember 2022 erscheinen.