Am 10. März 2021 bricht für Finanzprodukte, die nachhaltig investieren, ein neues Zeitalter an. Die EU normiert mit Disclosure- und Taxonomie-Verordnung den Begriff „nachhaltige Investition“ und versieht nachhaltig ausgerichtete Finanzprodukte mit umfassenden Pflichten. Die Zeit, in der Produktanbieter und Finanzberater den Begriff Nachhaltigkeit gänzlich nach eigenen Kriterien definieren konnten, ist vorbei.
Nachhaltiges Investieren, also veranlagen unter Berücksichtigung von ESG-Kriterien (Umwelt, Soziales, gute Unternehmensführung), ist in den vergangenen Jahren verstärkt in Mode gekommen. Vielen Anlegern ist nachhaltiges Investieren ein echtes Anliegen, und Produktanbieter erkennen diesen Trend als topaktuelles Marketinginstrument. Im Sog der Nachhaltigkeit beim Geldanlegen ist zudem ein wahrer Dschungel an ESG-Bewertungsplattformen und ESG-Siegeln, mit denen sich Anlageprodukte schmücken, entstanden.
Nachhaltigkeit ist nicht mehr gleich Nachhaltigkeit
In der Vergangenheit konnten Produkthersteller, Finanzberater, Anleger und ESG-Siegel den Begriff Nachhaltigkeit nach eigenen ökologischen, sozialen, klimafreundlichen usw. Kriterien definieren. Anleger konnten frei entscheiden, wer ihren persönlichen Nachhaltigkeitspräferenzen am besten gerecht wird. Ist Stromerzeugung aus Wasserkraft ökologischer als aus Atomkraft? Leisten Elektroautos tatsächlich ein Beitrag zum Klimaschutz? Ist es sozial vertretbar, Fast Fashion und Smartphones zu kaufen, die unter prekären Arbeitsbedingungen in Asien hergestellt werden? Zählt es zur guten Unternehmensführung, wenn mit Briefkastenfirmen in Steueroasen die Abgabenquote reduziert wird?
Im Zuge des Europäischen Grünen Deals beantwortet die EU-Kommission jetzt (mehr oder weniger) all diese Fragen, unter anderem in der Verordnung (EU) 2019/2088 über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor (Disclosure-Verordnung). Diese definiert „nachhaltige Investitionen“ in Artikel 2 Ziffer 17 wie folgt:
eine Investition in eine wirtschaftliche Tätigkeit, die zur Erreichung eines Umweltziels beiträgt, gemessen beispielsweise an Schlüsselindikatoren für Ressourceneffizienz bei der Nutzung von Energie, erneuerbarer Energie, Rohstoffen, Wasser und Boden, für die Abfallerzeugung, und Treibhausgasemissionen oder für die Auswirkungen auf die biologische Vielfalt und die Kreislaufwirtschaft, oder eine Investition in eine wirtschaftliche Tätigkeit, die zur Erreichung eines sozialen Ziels beiträgt, insbesondere eine Investition, die zur Bekämpfung von Ungleichheiten beiträgt oder den sozialen Zusammenhalt, die soziale Integration und die Arbeitsbeziehungen fördert oder eine Investition in Humankapital oder zugunsten wirtschaftlich oder sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen, vorausgesetzt, dass diese Investitionen keines dieser Ziele erheblich beeinträchtigen und die Unternehmen, in die investiert wird, Verfahrensweisen einer guten Unternehmensführung anwenden, insbesondere bei soliden Managementstrukturen, den Beziehungen zu den Arbeitnehmern, der Vergütung von Mitarbeitern sowie der Einhaltung der Steuervorschriften;
Die Verordnung (EU) 2020/852 über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen (Taxonomie-Verordnung) definiert eine Investition in eine Wirtschaftstätigkeit dann als ökologisch nachhaltig, wenn diese Wirtschaftstätigkeit einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung eines oder mehrerer Umweltziele leistet. Umweltziele im Sinne der Taxonomie-Verordnung sind:
- a) Klimaschutz,
- b) Anpassung an den Klimawandel,
- c) die nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen,
- d) der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft,
- e) Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, und
- f) der Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme.
Das Erfüllen dieser Bedingungen alleine (die reichlich Unklarheiten für die praktische Umsetzung beinhalten) reicht aber nicht aus, damit eine Investition im Sinne der EU als (ökologisch) nachhaltig gilt. Über diese Begriffsbestimmung hinaus verpflichtet die Disclosure-Verordnung Finanzberater und Finanzmarktteilnehmer zu umfangreichen Offenlegungspflichten. Produkthersteller haben ihre Finanzprodukte (zum Beispiel Investmentfonds, Wertpapierportfolios und Lebensversicherungen) zu klassifizieren und detailliert darüber zu informieren, ob und wie nachhaltig investiert wird. Im Gegensatz zu den ausufernden Definitionen nachhaltiger Investitionen kennt die Disclosure-Verordnung nur drei Produktkategorien:
- „Leuchtend grüne“ Finanzprodukte, die ökologische oder sozialen Merkmale bewerben (gemäß Artikel 8 Disclosure-Verordnung)
- „Grüne“ Finanzprodukte, die eine nachhaltige Investition anstreben (gemäß Artikel 9 Disclosure-Verordnung)
- „Sonstige“ Finanzprodukte (die Nachhaltigkeitsrisiken im Sinne von Artikel 6 der Disclosure-Verordnung als nicht relevant erachten)
Ein Finanzprodukt kann also noch so nachhaltig, ökologisch, klimafreundlich und sozial investieren, wenn die Pflichten der Disclosure-Verordnung vom Produkthersteller oder Finanzberater nicht auf Punkt und Komma befolgt werden (was neben dem erheblichen Aufwand dafür auch aufsichtsrechtliche Risiken birgt), dann ist das Finanzprodukt nicht EU-konform nachhaltig und fällt in die Kategorie „sonstige“ – und wird damit in einem Atemzug mit Waffenherstellern, Tabak- und Glücksspiel-Konzernen und Kohlekraftwerken genannt.
Verwirrung bei Anlegern vorprogrammiert
Zumindest eine vierte Produktkategorie wird es daher meiner Ansicht nach geben, nennen wir sie „dunkelgrün“: Nachhaltig, aber nicht nachhaltig im Sinne der EU-Verordnungen. In diese vierte Produktkategorie fallen alle Finanzprodukte, die zwar Aspekte wie Umwelt, Soziales, gute Unternehmensführung (z.B. Steuerehrlichkeit, Gleichbehandlung von Geschlechtern), Achtung der Menschenrechte sowie das Bekämpfen von Korruption und Bestechung beim Investieren berücksichtigen, aber die Bestimmungen der EU-Verordnungen, beispielsweise die umfassenden Offenlegungs- und Berichtspflichten, nicht detailliert einhalten.
Zwischen den Stühlen sitzen auch Finanzberater und deren Kunden, die bis dato im Sinne ihrer eigenen Kriterien nachhaltig investiert haben. Natürlich können sie das weiterhin tun, aber offiziell gilt das Abweichen von den definierten EU-Nachhaltigkeitskriterien als „sonstige“.
Persönliche Individualität abgeschafft
Ob die neuen Regulierungen angesichts der umfangreichen Pflichten sowie den damit verbundenen aufsichtsrechtlichen Risiken tatsächlich zu einer „Erleichterung nachhaltiger Investitionen“ führen, wie es der Titel der Taxonomie-Verordnung ausdrückt, wage ich als Compliance Officer von Produktherstellern und Finanzberatern zu bezweifeln. Ich stelle mir die Frage, was wir der Umwelt und dem Klima mit all den Regulierungen nachhaltig Gutes tun. Noch dazu, wo die EU selbst nach wie vor Greenwashing legitimiert.
Die Denkweise der EU-Kommission mutet zudem sozialistisch an. Ein bekannter Fondsmanager zog in einem Medienbericht den Vergleich mit Kunst. Würde man die Nachhaltigkeitsdefinition der EU auf die Kunst umlegen, würde das bedeuten, dass ab 10. März 2021 nicht mehr der Betrachter für sich entscheiden darf, welches Kunstwerk er oder sie „sehr schön“, „schön“ oder „nicht schön“ findet, denn das definiert die EU in ihren Verordnungen. Auf diese skurrile Idee würde im Zusammenhang mit Kunst niemand kommen, beim nachhaltig Investieren ist das aber so. Willkommen in der gesetzlich normierten Welt, in der freies Denken und individuelles Entscheiden augenscheinlich an Stellenwert verlieren.