Der Grüne Deal und die Konservendose

Was hat der Grüne Deal der EU mit einer Konservendose gemeinsam?

Die EU verfolgt – zumindest auf dem Papier – konsequent die großen Ziele des Grünen Deals: globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius begrenzen, bis zum Jahr 2030 die Netto-Treibhausgasemissionen um 55 % gegenüber dem Stand von 1990 senken. Um diese Ziele zu erreichen, soll unter anderem Kapital verstärkt in nachhaltige Investitionen, die sich an ESG-Kriterien orientieren, umgelenkt werden.

In diesem Sinne EU-konform zu investieren ist allerdings schwierig, denn die EU-Taxonomie kennt nur Umweltziele. Soziale Ziele, die mit Aspekten der guten Unternehmensführung verknüpft werden sollen, lassen auf sich warten. Bewertungskriterien, anhand derer sich bemisst, ob eine Wirtschaftstätigkeit dem Erreichen eines ESG-Zieles dient, gibt es nur für zwei der sechs EU-Umweltziele (und auch diese nur für ca. 100 ausgewählte Wirtschaftstätigkeiten).

Ab 1. Januar 2023 soll(t)en die restlichen Bewertungskriterien folgen. Doch dieser Termin wackelt. Und selbst wenn es sie gibt, fehlen die nachhaltigkeitsbezogenen Unternehmensdaten, denn Unternehmen sind nicht verpflichtet, Taxonomie-konform zu berichten. Dafür fehlt die neue Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung CSRD, noch weiter entfernt ist deren nationale Umsetzung.

In der Verpackung, sinnbildlich dem Grünen Deal, stecken Lösungsansätze für ein real bestehendes Problem, nämlich den fortschreitenden Klimawandel. Bei den Werkzeugen, sprich den Regularien, die wir benötigen, um die Pläne der EU umzusetzen, hapert es jedoch gewaltig. Sie kommen mit großer Verzögerung. Hier drängt sich der Vergleich mit der Konservendose auf.

Wissen Sie, wann die Konservendose patentiert wurde? Im Jahr 1810. Napoleon Bonaparte suchte nach einer Lösung für die Lebensmittelversorgung seiner Truppen und der Pariser Konditor Nicolas Appert erfand die Lösung: die Konservendose. Von da an verhungerten keine Soldaten mehr am Schlachtfeld (was bis dahin oft der Fall war). Und wann wurde der Dosenöffner erfunden? 48 (sic!) Jahre später, im Jahr 1858. Bis dahin konnten Konservendosen nur mit zweckentfremdeten Werkzeugen, wie Bajonette, Hammer und Meißel, geöffnet werden.

So ähnlich stellt sich derzeit der Grüne Deal für die Finanzindustrie dar. Er ist, ebenso wie die Konservendose, ein dringend notwendiger Lösungsansatz für lebensbedrohende Probleme. Aber die Werkzeuge, sprich Regularien und Daten, die es ermöglichen, den Inhalt bzw. die Pläne im Sine der EU zu realisieren und den Kampf gegen den Klimawandel zu unterstützen, kommen viel zu spät.

Notgedrungen stützen sich Asset Manager und Investoren auf Behelfsmaßnahmen, wie etwa auf ESG-Daten von Drittanbietern. Diese Daten erfüllen, ebenso wie Hammer und Meißel, ihren Zweck, indem sie die Lücken in den europäischen Regularien stopfen, gehen jedoch nicht zwingend mit dem europäischen Gedankengut konform.

Dass hinsichtlich des Grünen Deals und nachhaltigen Investitionen nicht alles nach Wunsch läuft, haben auch schon die europäische Versicherungsaufsicht EIOPA als erste ranghohe EU-Institution und der Präsident der deutschen BaFin zugegeben.

So gesteht die EIOPA ein, dass wichtige Regulierungsinitiativen, auch im Rahmen der EU-Taxonomie, noch nicht abgeschlossen und einige Vorschriften noch nicht fertiggestellt sind.

BaFin-Präsident Mark Branson gibt in einem Kommentar zu, (Zitat) dass ein einfaches Labelling „grün“ oder „nicht-grün“ kaum den heterogenen und unterschiedlich differenzierten Präferenzen von Anlegern gerecht werden kann.

Um im Jargon des Dosenvergleiches zu bleiben: die EU wäre gut beraten, sich mit der Erfindung des Dosenöffners für den Grünen Deal keine 48 Jahre Zeit zu lassen.


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