Am 2. August geht´s los! Ab diesem Tag müssen bestehende und neue Kunden im Rahmen der Eignungsbeurteilung nach ihren Nachhaltigkeitspräferenzen gefragt werden. Diese Pflicht trifft sowohl Wertpapierdienstleister als auch Vermittler von Versicherungsanlageprodukten. Was einfach klingt, kann in der Praxis zur echten Herausforderung werden.
Wozu soll die Abfrage dienen?
Die EU-Kommission verfolgt im Rahmen des europäischen Grünen Deals das Ziel, Anlagegelder verstärkt in nachhaltige Finanzprodukte umzulenken. Dazu hat sie in der EU-Offenlegungsverordnung u.a. definiert, was als nachhaltige Investition gilt, und was Nachhaltigkeitsfaktoren sind. In der EU-Taxonomie legt die EU sechs Umweltziele fest. Principal Adverse Impacts, kurz PAIs, definieren wichtige nachteilige Auswirkungen, anhand derer das Ausmaß der Nachhaltigkeit von Finanzprodukten bzw. Wirtschafstätigkeiten beurteilt wird.
Die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen gibt den Kunden die Möglichkeit, zu bestimmen, welche nachhaltigkeitsbezogenen EU-Kriterien ihnen wichtig sind und daher bei den empfohlenen Finanzprodukten berücksichtigt werden sollen.
Was sind Nachhaltigkeitspräferenzen?
Die EU-Kommission hat in ergänzenden Verordnungen zu MiFID II und IDD festgelegt, was Nachhaltigkeitspräferenzen sind. Sie versteht darunter die Entscheidung der Kunden, ob im Rahmen der Veranlagung Finanzprodukte berücksichtigt werden sollen, die gemäß EU-Taxonomie („ökologisch nachhaltig“) und/oder gemäß EU-Offenlegungsverordnung („nachhaltig“) investieren. Weiters bekommen Kunden die Möglichkeit, Mindestanteile an (ökologisch) nachhaltigen Investitionen zu definieren und festzulegen, welche wichtigen nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren (PAIs) berücksichtigt werden sollen.
Die EU gibt für die Abfrage ein enges Korsett vor. Kunden müssen, wie bei der Eignungsbeurteilung üblich, unbeeinflusst antworten. Dabei stehen primär die EU-Kriterien zur Nachhaltigkeit im Fokus, und nicht die persönlichen Sichtweisen der Kunden (oder ggf. der Finanzberater).
Wann müssen bestehende Kunden gefragt werden?
Bestehende Kunden müssen beim nächsten Erbringen einer Beratungsleistung nach den Nachhaltigkeitspräferenzen gefragt werden. Also beispielsweise beim nächsten routinemäßigen Aktualisieren von KYC-Informationen oder geplanten Neuinvestitionen. Da es sich bei der Portfolioverwaltung um ein Dauerschuldverhältnis handelt, der Portfolioverwalter also tagtäglich seine Wertpapierdienstleistung erbringt, müssen die abgefragten Nachhaltigkeitspräferenzen bei bestehenden Kunden in der Portfolioverwaltung bereits am 2. August 2022 vorliegen.
Was ist zu tun, wenn Berater gar keine nachhaltigen Finanzprodukte anbieten?
Ob Finanzberater nachhaltige Finanzprodukte anbieten, oder nicht, spielt keine Rolle. Die Nachhaltigkeitspräferenzen müssen in jedem Fall abgefragt werden. Nennen Kunden Nachhaltigkeitspräferenzen (und bleiben auch nach einer entsprechenden Erklärung des Finanzberaters dabei), kann kein geeignetes Finanzprodukt empfohlen werden. Und folglich auch kein Geschäftsabschluss erfolgen.
Woran erkenne ich EU-konforme nachhaltige Finanzprodukte?
Die EU kennt zwei Kategorien von nachhaltigen Finanzprodukten:
Finanzprodukte, die ökologische oder soziale Merkmale bewerben („hellgrün“ gemäß Artikel 8 der Offenlegungsverordnung)
Finanzprodukte, die eine nachhaltige Investition anstreben („dunkelgrün“ gemäß Artikel 9 der Offenlegungsverordnung)
Alle Finanzprodukte (z. B. Investmentfonds, ETFs, Versicherungsanlageprodukte), die weder gemäß Artikel 8 noch gemäß Artikel 9 investieren, gelten als „sonstige“ Finanzprodukte. Solche Finanzprodukte müssen den folgenden Warnhinweis tragen: „Die diesem Finanzprodukt zugrunde liegenden Investitionen berücksichtigen nicht die EU-Kriterien für ökologisch nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten.“
„Sonstige“ Finanzprodukte können dennoch nachhaltig, ökologisch, ethisch oder „grün“ investieren, orientieren sich dabei nur nicht an den EU-Kriterien, sondern an anderen anerkannten Nachhaltigkeitsstandards.
Sind Finanzprodukte mit ESG-Siegeln nachhaltig im Sinne der EU-Kriterien?
Nein, nicht automatisch. Zwar schmücken sich viele Artikel 8- und Artikel 9-Finanzprodukte zusätzlich mit ESG-Siegeln, aber Siegel wie FNG oder das österreichische Umweltzeichen bewerten Produkte nach den jeweils eigenen Kriterien – und diese müssen nicht identisch mit den EU-Kriterien sein. Solche Siegel sind also nicht gleichwertig mit der EU-Kategorisierung nach Artikel 8 oder Artikel 9, sondern können die EU-Konformität nur mit weiteren Kriterien ergänzen.
Können Kunden bestimmen, dass zu 100 % nachhaltig investiert werden soll?
Grundsätzlich ja, allerdings sind 100 % nachhaltige Investments im Sinne der EU-Kriterien nicht realisierbar. Unter anderem deshalb, weil es keine Finanzprodukte gibt, die stets zu 100 % EU-konform nachhaltig investiert sind. Denn die Mindestanteile an nachhaltigen Investitionen müssen – unabhängig von der Marktphase – stets voll investiert sein. Das raubt den Asset Managern jeglichen Handlungsspielraum, kostet in schwierigen Marktphasen Rendite bzw. führt zu Verlusten und erhöhtem Risiko.
Erschwerend kommt bezüglich der Mindestanteile, die Kunden festlegen können, hinzu, dass diese Informationen von den Produktanbietern frühestens ab 1. Januar 2023 zur Verfügung gestellt werden müssen (wenn die zugehörigen gesetzlichen Bestimmungen nicht noch ein viertes Mal verschoben werden). Bis dahin besteht leider die unglückliche Situation, dass Finanzberater ihre Kunden danach fragen müssen, aber Produktanbieter diese Informationen gar nicht liefern müssen. Ein geeignetes Finanzprodukt zu finden und zu empfehlen, ist daher in vielen Fällen unmöglich.
Können Kunden bestimmen, dass explizit nicht nachhaltig investiert werden soll?
Theoretisch ja, praktisch ist das aber so gut wie unmöglich. Denn das würde bedeuten, dass ausschließlich nicht-nachhaltige Investitionen in den Kundenportfolios sein dürfen. Viele vorhandene Finanzprodukte haben jedoch in den vergangenen Monaten das Attribut „Artikel 8“ erhalten, höchstwahrscheinlich auch solche, die sich seit langer Zeit in den Kundenportfolios befinden. Viele Kunden sind wahrscheinlich schon nachhaltig investiert, ohne dass es ihnen bewusst ist.
Dazu kommt, dass so gut wie jedem Unternehmen bzw. jeder wirtschaftlichen Tätigkeit irgendein (wenn auch geringer) Grad an Nachhaltigkeit zugeordnet werden kann. Denn schon alleine die Tatsache, dass Unternehmen Arbeitsplätze schaffen und Sozialabgaben leisten, dient dem Erreichen von ESG-Zielen. Vollkommen nicht-haltige Unternehmen gibt es de facto ebenso wenig wie 100 % nachhaltige.
Was passiert mit Kunden, die keine Nachhaltigkeitspräfenzen nennen?
Im Rahmen der Eignungsbeurteilung müssen Kunden die bekannten Anlagepräferenzen, wie zum Beispiele Risikoneigung, Erfahrungen und Kenntnisse, bekanntgeben, damit ihnen geeignet Produkte empfohlen werden können. Diese Angaben können Kunden auch weiterhin nicht verweigern. Im Gegensatz dazu sind Kunden nicht verpflichtet, Nachhaltigkeitspräferenzen zu nennen. Solche Kunden werden als „nachhaltigkeitsneutral“ eingestuft. Den Kunden können dann sowohl nachhaltige als auch nicht-nachhaltige Finanzprodukte empfohlen werden.
Erklären sich Kunden als „nachhaltigkeitsneutral“, dann gelten sie zwar aus Sicht der EU nicht mehr als nachhaltig orientiert, können aber sehr wohl nachhaltig investieren. Ihnen steht sogar ein größeres Spektrum an „grünen“ Finanzprodukten zur Verfügung, weil es keine Rolle mehr spielt, ob es sich um EU-konforme nachhaltige Finanzprodukte (gemäß Artikel 8 oder Artikel 9) handelt, oder um „grüne“ Finanzprodukte, die sich an anderen Nachhaltigkeitsstandards orientieren.
Fazit
Viele Marktteilnehmer sind nicht glücklich mit der kommenden Pflicht zur Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen. Sie startet am 2. August 2022, trotzdem die Taxonomie-Verordnung unvollständige ESG-Ziele definiert (derzeit nur Umweltziele), die meisten für Asset Manager notwendigen Bewertungskriterien fehlen, die Offenlegung vieler Daten (z. B. Mindestanteile) erst 2023 verpflichtend wird und Unternehmen frühestens im Jahr 2025 die erforderlichen Nachhaltigkeitsdaten veröffentlichen müssen.
Trotz damit einhergehenden aufsichts- und zivilrechtlichen Risiken für Finanzdienstleister denkt die EU aber nicht an eine Verschiebung der Anwendung. Ausbaden darf diese Misere die Finanzindustrie.
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