EU-Rechnungshof zerpflückt „grüne“ Pläne und Strategien der EU
Klimaneutralität bis 2050, dieses visionäre Ziel des Grünen Deals wird von einer Flut an Plänen und Maßnahmen begleitet. Viele davon sollen ganz entscheidende Schlüsselelemente der grünen Transformation hin zu einer ebenso nachhaltigen wie wettbewerbsfähigen Wirtschaft sein. Der Europäische Rechnungshof EuRH kommt jedoch bei Prüfungen mehrfach zu desaströsen Ergebnissen. Eine ganze Reihe von hochgelobten Plänen kann in der Praxis nicht reüssieren.
Realitätsferne EU-Wasserstoff-Strategie
„Grüner“ Wasserstoff soll fossile Brennstoffe, insbesondere in der Stahl-, Zement- und Düngermittelindustrie, ersetzen und wesentlich zur CO2-Neutrlität beitragen. Bis 2030 ist geplant, in der EU 20 Mio. Tonnen Wasserstoff aus erneuerbarer Energie zu produzieren. Dieses Ziel sieht der EuRH, ebenso wie die prognostizierte Nachfrage, als unrealistisch an. Er empfiehlt der EU-Kommission die EU-Wasserstoff-Strategie dringend einem Realitätscheck zu unterziehen.
Rechenfehler bei EU-Plastikmüllabgabe
Im Januar 2021 führte die EU eine Abgabe von 80 Cent auf jedes Kilogramm Plastikmüll ein, das nicht recycelt, sondern verbrannt oder deponiert wird. Die Erlöse fließen direkt ins EU-Budget, im Jahr 2023 waren es € 7,2 Mrd. Die Abgabe erhöht den Preis dafür, Plastikabfall nicht zu recyceln, und soll für weniger Kunststoffabfall führen. Der EuRH stellte dieser Idee ein schlechtes Zeugnis aus. Die Mitgliedstaaten seien nicht gut vorbereitet gewesen und die verwendeten Daten nicht ausreichend vergleichbar und zuverlässig. 2021 verrechneten sich die EU-Staaten um 1,4 Mio. Tonnen Plastikmüll und überwiesen € 1,1 Mrd. zu wenig nach Brüssel.
Ineffiziente Bio-Förderungen
Ökologische Landwirtschaft wird in der EU falsch gefördert, stellte der EuRH im vergangenen September fest. Von 2014 bis 2022 hat die EU € 12 Mrd. in die Bio-Landwirtschaft gepumpt, bis 2027 sind weitere € 15 Mrd. geplant. Der EuRH nennt das Ziel, 25 % der Agrarfläche auf biologische Landwirtschaft umzustellen, illusorisch. In der EU-Strategie für die Bio-Landwirtschaft fehlen wichtige Elemente wie quantifizierbare Ziele sowie ein Ansatz für das Messen von Fortschritten. Außerdem konnte der EuRH aufgrund unzureichender Datenlage die Auswirkungen der Politik nicht bewerten.
EU-Agrarpolitik nicht ehrgeizig genug
Nur eine Woche später rügt der EuRH, dass die EU-Agrarpolitik zwar stärker als früher auf Umwelt- und Klimaschutz abzielt, aber die nationalen Strategiepläne nicht spürbar „grüner“ geworden sind. Die Umweltfreundlichkeit lasse sich schwer messen und hänge von der Ausgestaltung freiwilliger Programme sowie deren Anklang bei den Landwirten ab. Gleichzeitig kritisiert der EuRH, dass als Reaktion auf die Bauernproteste Förderbedingungen teilweise gelockert wurden.
Kommission rudert zurück
Die EU-Entwaldungsverordnung sollte ab Ende Dezember 2024 angewendet werden. Gemäß dieser müssen Unternehmen garantieren, dass ihre Erzeugnisse „entwaldungsfrei“ produziert werden. Angesichts der weltweiten Kritik an diesem Regelwerk hat die Kommission Anfang Oktober überraschend mitgeteilt, dass sie die Anwendung auf Ende 2025 verschieben möchte. Sie nennt das „verstärkte Unterstützung für die Umsetzung, um auf Aufforderungen globaler Partner zu reagieren“. Im Klartext: Die weltweite Kritik ließ ihr keine andere Wahl.
Diese Beispiele zeigen eindrucksvoll, dass der Motor des Grünen Deals ins Stottern geraten ist. Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen rief im August 2024 sogar zum Ausbau der – lange Zeit verpönten – Atomenergie auf. Das Blatt scheint sich auch auf höchster politischer Ebene zu wenden.
Dieser Beitrag ist erstmal im Börsen-Kurier Nr. 43 vom 24. Oktober 2024 erschienen.