Für die EU-Wasserstoff-Strategie hießt es zurück zum Start
Die EU werde ihre für 2030 gesetzten Ziele für Erzeugung und Import von „grünem“ Wasserstoff voraussichtlich nicht erreichen, kritisiert der Europäische Rechnungshof ECA (European Court of Auditors). Die Prüfer fordern einen Realitätscheck der EU-Ziele. Man müsse sicherstellen, dass sich diese auch verwirklichen ließen und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der Schlüsselindustrien sicherstellen sowie darauf achten, keine neuen Abhängigkeiten zu schaffen.
Im Jahr 2022 wurden weniger als 2 % des Energieverbrauchs in Europa durch Wasserstoff gedeckt. Laut dem Bericht des ECA wird die Nachfrage, die angekurbelt werden soll, bis 2030 nicht einmal 10 Mio. Tonnen erreichen, geschweige denn die von der EU-Kommission anvisierten 20 Mio. Tonnen. Die Prüfer stellen außerdem fest, dass es momentan keine umfassende EU-Strategie für Wasserstoffimporte gibt.
Erneuerbarer oder „grüner“ Wasserstoff ist für die Zukunft der wichtigsten Industriezweige in der EU von großer Bedeutung, da er insbesondere dort zur CO2-Neutralität beitragen kann, wo eine Umstellung auf elektrischen Betrieb schwierig ist – wie etwa bei der Stahlerzeugung, in der petrochemischen Industrie oder bei der Zement- und Düngemittelproduktion. Erneuerbarer Wasserstoff kann der EU helfen, ihr für 2050 gesetztes Klimaziel der CO2-Neutralität zu erreichen und die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus Russland weiter zu verringern.
Diese Ziele hätten nicht auf einer soliden Analyse beruht, sondern seien von politischem Willen geleitet gewesen, moniert der ECA. Außerdem hätten die unterschiedlichen Ambitionen der EU-Staaten nicht immer im Einklang mit den Zielvorgaben gestanden, und die Kommission habe bei der Abstimmung mit EU-Staaten und Industrie nicht dafür gesorgt, dass alle Parteien an einem Strang zogen.
Andererseits räumen die Prüfer ein, dass die Kommission den erforderlichen Rechtsrahmen fast vollständig geschaffen habe. Die Einigung darüber, was genau unter erneuerbarem Wasserstoff zu verstehen ist und welche Vorschriften für ihn gelten, habe aber zu lange gedauert und viele Investitionsentscheidungen seien verschoben worden. Auch Projektentwickler schöben Investitionen auf, da das Angebot von der Nachfrage abhänge und umgekehrt.
Die Prüfer fordern die EU-Kommission auf, ihre Wasserstoffstrategie zu aktualisieren und dabei insbesondere drei zentrale Fragen zu berücksichtigen: Wie können präzise Marktanreize für die Erzeugung und Nutzung von erneuerbarem und CO2‑armem Wasserstoff geschaffen werden? Wie können die knappen EU-Mittel priorisiert werden, und auf welchen Teilen der Wertschöpfungskette sollte dabei der Schwerpunkt liegen? Welche Industriezweige sollen – vor dem Hintergrund der geopolitischen Bedeutung der heimischen Produktion gegenüber dem Import aus Drittländern – in der EU gehalten werden und zu welchem Preis? Für die EU-Wasserstoffstrategie heißt es also zurück zum Start.
Dieser Beitrag ist erstmals im Börsen-Kurier Nr. 36 vom 5. September 2024 erschienen.