Hamburg: Das Wien des Nordens
Wie kann ich mir anmaßen, Wien mit Hamburg zu vergleichen? Noch dazu, wo die Hansestadt ihren Status als zweitgrößte deutschsprachige Stadt bereits vor zehn Jahren an Wien abgegeben hat (Berlin ist weiterhin die unangefochtene Nummer eins). Als geborener Wiener möchte ich niemals irgendwo anders leben. Wien ist Weltspitze, in vielerlei Hinsicht. Aber Hamburg ist ebenso großartig. Daher habe ich die Stadt an der Elbe wieder einmal besucht. Ich lade Sie zu einer kleinen Sightseeing-Tour ein!
Mit dem ÖBB Nightjet reiste ich nachhaltig und schlafend in knapp dreizehn Stunden bis ins Stadtzentrum zum Hamburger Hauptbahnhof. „Moin!“ (und nicht „Moin, Moin!“), elegant-schnoddrig gesprochen, lautet von frühmorgens bis spätnachts die typische Begrüßung. Der Bahnhof liegt am Ende der Mönckebergstraße – Einheimische sagen kurz „Mö“ –, der bekanntesten Einkaufsstraße und Flaniermeile der Stadt, quasi die Mariahilfer Straße von Hamburg. Shopping-Junkies kommen dort ebenso auf ihre Rechnung wie Kulinarik- und Architekturinteressierte.
Die Freie und Hansestadt Hamburg ist ein Stadtstaat inmitten von Deutschland und mit 755 Quadratkilometern Fläche die zweitgrößte Gemeinde unseres Nachbarlandes. Die Elbe verbindet Hamburg mit der etwa 100 Kilometer entfernten Nordsee. Die Alster, in Nebenfluss der Elbe, wurde schon im Mittelalter zu einem innerstädtischen See aufgestaut, der sich in die größere Außenalster und die kleinere, vom historischen Stadtkern umschlossene Binnenalster teilt. Über die zahlreichen Fleete, Flüsschen und Kanäle Hamburgs spannen sich fast 2.500 Brücken.
Hamburg ist eine vergleichsweise reiche Stadt, die Bewohner zählen vielfach zu den sprichwörtlichen Reichen und Schönen. Die Hamburger halten sich (einer Studie zufolge) für die glücklichsten Großstädter Deutschlands. Und das strahlen sie auch aus, wenn man mit Ihnen ins Gespräch kommt. Offen, herzlich und freundlich, egal wo man sie antrifft. Aber Hamburg hat auch ein großes Herz für jene, denen es nicht so gut geht. Obdachlose schätzen Hamburg sehr, weil die Stadt weit mehr für sie tut als andere Großstädte. Sie sind nie aufdringlich und ehrlich dankbar für ein paar Euro.
Nur sechs Stationen lang ist die U-Bahn-Fahrt mit der U3 vom Bahnhof zum Hotel, dem EAST auf St. Pauli. Ja, es heißt „auf“ und nicht „in“ St. Pauli, weil dieser Stadtteil früher auf einem Hügel lag, der jedoch schon vor langer Zeit fast ganz geschliffen wurde. Das EAST befindet sich in einer ehemaligen Eisengießerei, die von einem US-Stararchitekten im Jahr 2004 in ein Design-Meisterwerk verwandelt wurde. Neben durchgestylten Zimmern beherbergt das EAST ein asiatisches Spitzenrestaurant und eine der angesagtesten Cocktail-Bars der Stadt, die Yakshi’s Bar, benannt nach der indischen Göttin der Geselligkeit. Zumindest einen Drink empfehle ich jedem, zum Beispiel einen Vineyard Sunset, der perfekte Sundowner.
Gleich in der Parallelstraße zum EAST befindet sich die Reeperbahn, Hamburgs berühmt-berüchtigte Amüsiermeile. Die Reeperbahn ist wohl das Bunteste was Hamburg zu bieten hat. Nicht nur wegen der vielen Lichter, die den Straßenzug erhellen, sobald es dämmert. Auch wegen der bunten Mischung an Menschen, die sich vor allem in den Abendstunden und nachts auf der Reeperbahn herumtreiben. Dort, auf dem Hamburger Kiez, befindet sich nahe der David-Wache, einer Polizeistation, in einer Seitengasse die Herbertstraße, wo leicht bekleidete Prostituierte in Schaufenstern sitzend für ihre Dienste werben. Der Zugang ist für Frauen und Kinder seit 1974 verboten.
Auf dem Weg zurück zur U-Bahn-Station St. Pauli fallen die Tanzenden Türme ins Auge. In der 23. und 24. Etage, in etwa 105 Metern Höhe und nur 300 Meter von der Elbe entfernt, befindet sich Hamburgs höchstgelegenes Restaurant „Clouds“ mit empfehlenswerter Bar. Die Dachterrasse bietet einen sensationellen Ausblick auf Hamburg und den Hafen, besonders abends und nachts. Aber Achtung, die Location ist sehr gefragt.
Hamburgs öffentliche Verkehrsmittel sind übrigens gut ausgebaut. Die U3 ist für Besucher wohl eine der wichtigsten U-Bahn-Linien, denn Sie verbindet zahlreiche Sehenswürdigkeiten. Ich empfehle die Hamburg CARD, mit ihr können alle Verkehrsmittel des Hamburger Verkehrsverbunds HVV, also Bus, Bahn und auch die Hafenfähren, benutzt werden. Und sie bietet bis zu 50 % Rabatt bei über 150 touristischen Attraktionen.
Mit der besagten U3 erreichen wir von St. Pauli nach nur einer Station die Landungsbrücken. Oder wir spazieren die Helgoländer Allee durch den Alten Elbpark entlang, vorbei am Bismarck-Denkmal hinunter zu den Landungsbrücken. Am Schiffanleger halten die Fähren, starten Hafenrundfahrten und sorgen Kioske für das leibliche Wohl. Ich empfehle eines der üppigen und stets frischen Fischbrötchen. Wer lieber Burger mag, findet hier auch das Hamburger Hard Rock Café. Am Ende des 205 Meter langen ehemaligen Abfertigungsgebäudes befindet sich der Eingang in den Alten Elbtunnel. Diese gekachelte, einspurige Röhre unter der Elbe ist bis heute in Betrieb und kann kostenlos begangen werden.
Auf einer Hafenrundfahrt, die Binnenländer einfach nur sprachlos macht, sehen wir mit etwas Glück einen Mega-Containerfrachter der 400er-Klasse – also 400 Meter lang! 62 Meter hoch ragen diese Ungetüme aus dem Wasser, voll beladen haben sie 16 Meter Tiefgang. Man wird richtig ehrfürchtig, wenn das eh nicht schon so kleine Rundfahrtboot dran vorbeigleitet. Bei meinem Besuch lag auch noch die 400 Mio. USD-Yacht „Luna“, eine von Roman Abramowitsch beschlagnahmten Super-Yachten, in einem Dock. Damit sie nicht heimlich gekapert wird, sind – sicher ist sicher – Schiffsschraube und Heckruder ausgebaut.
Klaustrophobisch veranlagt dürfen wir nicht sein, wenn wir – nur eine Station mit der Fähre von den Landungsbrücken entfernt – U-434, eines der größten nicht-atomaren Jagd- und Spionage-U-Boote seiner Zeit (Baujahr 1976), besichtigen. Übrigens kein deutsches U-Boot, sondern ein sowjetisches. Vor Außerdienststellung haben die Russen natürlich sämtliche Militärtechnik ausgebaut. 32 Offiziere und 54 Mann Besatzung verteilten sich auf gut 90 Metern Außenlänge. Jede Gruppe – die Offiziere und die Mannschaft – teilten sich bei Innentemperaturen von 40 bis 60 °C je eine (!) Toilette und Dusche. Nur 10 Minuten zu Fuß entfernt von U-434 befindet sich der „Schellfischposten“, die älteste Seemannskneipe in Hamburg-Altona. Hier wird die TV-Sendung „Inas Nacht“ aufgezeichnet. Keine 5 Minuten Fußweg entfernt finden wir das Restaurant „Henssler & Henssler“ des bekannten TV-Kochs. Für Sushi-Liebhaber sehr zu empfehlen.
Mit der Fähre geht es zurück zu den Landungsbrücken. Von dort entweder zu Fuß auf der Jan-Fedder-Promenade am Hafen entlang, oder eine Station mit der U3 zur Station Baumwall. Ich empfehle den Fußweg vorbei an den Museumsschiffen Rickmer Rickmers, einem 1896 gebauten Drei-Mast-Frachtensegler, und Cap San Diego, einem 1961 gebauten Stückgutfrachter, die beide besichtigt werden können. Die Cap San Diego ist nach wie vor seetüchtig und bietet mehrmals im Jahr auch Rundfahrten an. Auf halben Weg bietet sich das ALEX an den Überseebrücken für ein kühles Pils zwischendurch an, das hier – wie meistens in Hamburg – im 0,5-Liter-Glas ausgeschenkt.
Die U3-Station Baumwall ist einer der Ausgangspunkte für die Sehenswürdigkeiten in Hamburgs Speicherstadt, dem größten Lagerhausensemble der Welt, das sich auf rund 26 Hektar erstreckt. Der Komplex wurde zwischen 1883 und dem Ende der 1920er Jahre auf tausenden Eichenpfählen gebaut, steht seit 1991 unter Denkmalschutz und ist seit 2015 UNESCO-Weltkulturerbe. In der Speicherstadt finden wir zum Beispiel das Prototypen- und das Gewürz-Museum, das Hamburg Dungeon und direkt darüber eine der Hauptattraktionen von Hamburg, das Miniatur Wunderland.
Das Miniatur Wunderland, die größte Modelleisenbahnanlage der Welt, ist ein Muss für alle Hamburg-Besucher. Entsprechend hoch ist die Besucherdichte – trotz Öffnungszeiten von oft 07:30 Uhr bis 01:00 Uhr früh an 365 Tagen im Jahr. Eintrittskarten, eventuell samt Backstage-Führung, unbedingt schon Wochen oder Monate im Voraus online kaufen. In 11 Themenwelten fahren auf 16.491 Meter Gleislänge 1.166 Züge mit über 10.645 Waggons. Sprachlos macht insbesondere die unfassbare Detailliebe: 4.669 Häuser & Brücken, 290.000 Figürchen, 10.330 Autos (davon hunderte wie von Geisterhand selbstfahrend), 145.000 Bäume und etwa eine halbe Million Lichter machen das Wunderland zu einer Miniatur-Traumwelt, die Groß und Klein, Mann und Frau für Stunden in ihren Bann zieht.
Nach kurzem Fußmarsch erreichen wir von der Station Baumwall aus eine weitere Hauptattraktion, die über dem Hafen thronende Elbphilharmonie. Empfehlen kann ich die Architektur-Führung. Das Gebäude und die Möglichkeiten, die es eröffnet, sind schlichtweg eine Sensation, baulich ebenso wie gesellschaftlich. Letztendlich hat die Elbphilharmonie unglaubliche 866 Mio. Euro gekostet. Dutzende Millionen davon wurden von reichen und kulturaffinen Hamburger Familien gespendet.
Im großen Saal sind 2.100 Sitzplätze rund um das Dirigentenpult angeordnet, von denen keiner mehr als 30 Meter vom Pult entfernt ist. Für die sensationelle Akustik sorgt unter anderem die Wandvertäfelung des Saals, die aus 10.000 CNC-gefrästen Paneelen besteht, deren dreidimensionale Oberflächenstruktur vom Computer berechnet wurde. Unfassbares Detail: Jedes dieser Paneele ist ein Unikat, keine zwei Platten sind identisch. Zu Recht einer der zehn besten Konzertsäle der Welt. Gönnen Sie sich ein Konzert im großen Saal, Sie werden begeistert sein!
Die Plaza der Elbphilharmonie in 37 Metern Höhe – die Terrasse am oberen Ende des Backsteinsockels, die rund um das Gebäude führt und die man mit einer wellenförmig geschwungenen Rolltreppe erreicht – bietet einen wunderbaren Rundumblick auf die Stadt und den Hafen (siehe Titelbild). Um die Plaza zu erreichen, benötigt man ein Ticket, das aber kostenlos ist.
Nach nur zwei Stationen mit der U3 gelangen wir zum Rathaus und seinem großen Vorplatz, auf dem sich – ähnlich wie in Wien – in der Adventzeit ein großer Weihnachtsmarkt breit macht. Von dort sind es nur wenige Schritte zur Binnenalster, die mit Cafés direkt am Wasser zum Verweilen einlädt. Auch die Alster-Rundfahrten starten und enden hier. Vom Jungfernstieg, der Prachtmeile an der Binnenalster, führt die Große Bleichen direkt hinein ins Shopping-Viertel. Hier finden wir viele Flagship-Stores von Luxus-Marken, also Vorsicht, es kann teuer werden.
Anfang September ist in Hamburg immer „Blue Port“, das heißt, dass abends der Hafen, die Schiffe und umliegende Gebäude blau leuchten. Sehenswert! Besonders mit einen Holsten Pilsener in der Hand aus der letzten echten Hamburger Brauerei. Am Tag meiner Abreise starteten an den Landungsbrücken die „Cruise Days“, eine Art Kirtag der Kreuzfahrtbranche mit Kiosken, an denen Kunsthandwerk ebenso angeboten wird wie Fisch- und Spanferkelbrötchen und – wie könnte es anders sein – perfekt gekühltes Pils, das als „Herrengedeck“ gerne gemeinsam mit einem eiskalten Kümmel-Schnaps genossen wird.
Nach einem letzten Blick in die über dem Hafen untergehende Abendsonne musste ich mich schweren Herzens auf den Weg zum Bahnhof machen. Aber nicht ohne Hamburg und mir zu versprechen: Ich komme ganz sicher wieder!
Apropos Reise: Datenschutz auch im Urlaub nicht vergessen!