Präsident Macron verlangt von der EU eine regulatorische Pause
Bekanntlich sollen Finanzdienstleister dazu beitragen, dass Anlagegelder verstärkt in nachhaltige Investitionen fließen. Diese Strategie untermauert die EU mit einer Flut an – nach wie vor lückenhaften – Vorschriften. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist einer der ersten Spitzenpolitiker, der von der EU eine regulatorische Pause verlangt.
Christian Dürr, Vorsitzender der FDP-Fraktion im deutschen Bundestag, stößt einem Bericht von ntv zufolge in dasselbe Horn: „Mit Bürokratie und Überregulierung wird man den Kampf gegen den Klimawandel nicht gewinnen.“ Der bekannte Wirtschaftswissenschaftler Hans-Werner Sinn meint: „Deutschland ist dabei, durch seine extremistische Klimapolitik die eigene Industrie zu ruinieren.“ Deutschland, immerhin die größte Industrienation des EU, setze damit ein Negativbeispiel für die ganze Welt. Politiker der europäischen Volkspartei EVP stellen eine weitere Verschärfung der Klimaziele infrage, berichtet Die Presse. Sie wollen sogar den Grünen Deal wieder aufschnüren.
Flucht aus Net-Zero-Allianzen
Immer mehr Banken, Versicherungen und Asset Manager verlassen die Net-Zero-Klimaschutz-Allianzen, wie etwa GLS Bank, Axa, Allianz, Swiss Re und Vanguard. Das heißt jedoch nicht, dass sich diese Finanzdienstleister von grünen und nachhaltigen Werten verabschieden. Axa erklärte, dass sie weiterhin ihren „individuellen Weg der Nachhaltigkeit“ fortsetzen wolle. Ein Grund für den Mitgliederschwund sind die zu strengen, um nicht zu sagen unrealistischen Vorschriften der Klimaschutz-Allianzen. Viel mehr scheinen die Austritte aber regulatorisch, kartellrechtlich und politisch motiviert zu sein.
Insbesondere jene Anbieter, die stark am US-amerikanischen Markt vertreten sind, bekommen den dort herrschenden Gegenwind zu ESG-Aspekten bei der Geldanlage zu spüren. Nachhaltiges Investieren ist der konservativen US-Politik ein Dorn im Auge. Die US-Bundesstaaten Texas, Missouri und Louisiana boykottieren deshalb beispielsweise Blackrock. US-Staatsanwälte haben große Vermögensverwalter davor gewarnt, sich an ökologischen und sozialen Initiativen zu beteiligen.
Die US-Börsenaufsicht SEC geht streng gegen Greenwashing vor und verhängt Millionenstrafen. All diese Entwicklungen verderben naturgemäß den Appetit auf grüne Allianzen und nachhaltige Investments.
Regelwerke sprudeln munter weiter
Die kritischen Stimmen hindern die EU-Kommission jedoch nicht daran, ihr Füllhorn an Vorschriften weiter über der europäischen Finanzindustrie auszuleeren. Gemäß den technischen Regulierungsstandards zur Offenlegungs-Verordnung müssen Finanzmarktteilnehmer spätestens ab 30. Juni 2023 detailliert erklären, dass sie die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen ihrer Investitionsentscheidungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren – die viel zitierten PAIs – berücksichtigen. DASS, wohlgemerkt, und nicht OB sie dies tun. Mangels verfügbaren Unternehmensdaten rauchen in den Rechts- und Compliance-Abteilungen seit Monaten die Köpfe.
Seit Anfang April 2023 liegen Entwürfe der Bewertungskriterien für die EU-Umweltziele 3 bis 6 vor. Parallel dazu wird über die Sozial-Taxonomie, die auch Aspekte der guten Unternehmensführung umfassen soll, weiter diskutiert. Immerhin hat die europäische Wertpapieraufsicht ESMA ihre Leitlinien zur Eignungsbeurteilung endlich fertiggestellt. Diese gelten, über ein Jahr nach Inkrafttreten der Pflicht zur Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen, ab 3. Oktober 2023.
Mit Entwürfen für eine adaptierte EU-Verbraucherschutz-Richtlinie und der Green Claims-Richtlinie intensiviert die EU-Kommission ihren Kampf gegen Greenwashing. Umweltaussagen sollen zukünftig, nicht nur im Finanzsektor, mit hervorragenden Umweltleistungen belegt werden müssen. Nachhaltigkeitsexperten äußern Kritik, denn soziale Aspekte fallen dabei unter den Tisch. Aber wie kann es auch anders sein, wenn uns die EU auf die Sozial-Taxonomie wie erwähnt warten lässt?
Im Gegensatz dazu legt der Entwurf des EU-Lieferkettengesetzes so viel Wert auf soziale Merkmale in der gesamten, globalen Wertschöpfungskette, dass sich Experten fragen, wie die weitreichenden Pflichten in der Realität erfüllt werden können. Ganz abgesehen von der aufkeimenden Frage, ob die Konsumenten den enormen Aufwand, der damit einher geht, auch bereit sind zu bezahlen. Österreichische Unternehmen, die deutsche Kunden beliefern, bekommen bereits einen Vorgeschmack. Denn das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ist seit 1. Januar 2023 in Kraft.
Apropos österreichische Unternehmen: Banken erheben bei Kreditvergaben vermehrt die nachhaltigen Aspekte der zu finanzierenden Projekte. Je „grüner“ ein Projekt ist, desto günstiger können die Kreditzinsen sein. Nachhaltigkeit zahlt sich, zumindest in diesem Zusammenhang, also tatsächlich aus.
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