ESMA veröffentlicht Final Report zu den Guidelines on certain aspects of the MiFID II suitability requirements
Am 23. September 2022 hat die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA den Final Report zu den neuen Leitlinien zur MiFID II-Beurteilung der Eignung/Geeignetheit veröffentlicht. Darin enthalten sind auch die Sichtweise der ESMA zur Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen.
Am 27. Januar 2022 veröffentlichte die ESMA ein Konsultationspapier zum Entwurf von Leitlinien zu bestimmten Aspekten der MiFID-II-Eignungsanforderungen. Der Konsultationszeitraum endete am 27. April 2022. Die ESMA erhielt 90 Antworten, von denen 10 vertraulich waren. Die ESMA holte auch den Rat der Securities and Markets Stakeholder Group SMSG ein.
Der Abschlussbericht fasst die Antworten zusammen, analysiert sie und erläutert, wie die Antworten zusammen mit den Empfehlungen der SMSG berücksichtigt wurden. Ebenso wie die ESMA empfehle ich, diesen Final Report (Link am Ende dieses Beitrages) zusammen mit dem am 27. Januar 2022 veröffentlichten Entwurf zu lesen, um einen vollständigen Überblick über die Gründe für die Leitlinien zu erhalten.
Mangelnde Daten
Eine Reihe von Marktteilnehmern gaben laut ESMA an, dass es der Mangel an Daten sowohl Vertreibern als auch Produktherstellern erschwert, Anlageprodukte anzubieten, die sich zu einem hohen Anteil an der Taxonomie ausrichten, nachhaltige Investitionen aufweisen oder die wichtigsten negativen Auswirkungen durch die Verwendung quantitativer Indikatoren zu berücksichtigen. Angemerkt wurde auch, dass selbst wenn ESG-Daten verfügbar sind, deren Zuverlässigkeit fraglich ist und die korrekte Integration von Nachhaltigkeit in die Beratung dadurch erschwert wird. Hoffnungsfrohe Antwort der ESMA:
Die ESMA ist sich bewusst, dass die Berechnung quantitativer Nachhaltigkeitsindikatoren aufgrund fehlender Daten oder aufgrund der begrenzten Zuverlässigkeit der erforderlichen Daten nicht immer einfach ist. Dennoch ist die ESMA davon überzeugt, dass sich die Situation verbessert, wie der wachsende Anteil der von Datenanbietern bereitgestellten ESG-Daten zeigt.
Komplexer Rechtsrahmen
Die befragten Marktteilnehmer wiesen weiters auf die Komplexität des Rechtsrahmens für nachhaltige Finanzen hin und betonten in ihren Rückmeldungen an die ESMA, dass die zeitliche Verschiebung der verschiedenen Teile des EU-Rahmens für nachhaltige Finanzen das Umsetzen der neuen Anforderungen für die Finanzbranche sehr behindert. Festgestellt wurde ebenso, dass dies eine erhebliche rechtliche und operative Belastung für Unternehmen darstellt. Geäußert wurde die Forderung an die EU-Kommission, die Umsetzung des delegierten Rechtsakts MiFID II bis zum 2. August 2023 zu verschieben oder alternativ die ESMA aufzufordern, eine zwölfmonatige Übergangsfrist für die Umsetzung der endgültigen Leitlinien in der Aufsichtspraxis nach deren Veröffentlichung vorzusehen. Darauf antwortet die ESMA:
Die ESMA stellt zunächst fest, dass das Datum der Anwendung der neuen MIFID II-Anforderungen zur Eignung in der delegierten Verordnung der Kommission 2021/1253 festgelegt ist und von der ESMA nicht geändert werden kann. Nichtsdestotrotz ist sich die ESMA der Herausforderungen bewusst, vor denen die Unternehmen bei der Umsetzung des EU-Rechtsrahmens für Nachhaltigkeit stehen. Vor diesem Hintergrund hat die ESMA beschlossen, das Datum für die Anwendung dieser Leitlinien auf sechs Monate nach der Veröffentlichung der Übersetzung der Leitlinien festzulegen und nicht auf zwei Monate, wie ursprünglich im Konsultationspapier vorgesehen. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass ungeachtet der von der ESMA getroffenen Entscheidung für diese Leitlinien die Firmen verpflichtet sind, die in der delegierten Verordnung MiFID II festgelegten rechtlichen Anforderungen ab dem 2. August 2022 vollständig zu erfüllen.
Die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen EIOPA redet nicht so um den heißen Brei herum, sondern findet ehrlichere Worte. Sie zeigt auch mehr Verständnis für die Herausforderungen der Marktteilnehmer, indem sie ihre entsprechenden Leitlinien als unverbindlich deklariert (siehe Beitrag Knalleffekt: EIOPA unterbricht Konsultation).
Gefahr von Green Bleaching
Die SMSG (Interessengemeinschaft Wertpapiere und Märkt) merkte an, dass die Vermeidung von Greenwashing zwar eine Notwendigkeit ist, dass es aber auch ein umgekehrtes Problem geben könnte: Green Bleaching, d.h. Fondsmanager, die in nachhaltige Aktivitäten investieren, dies aber nicht angeben, um die Datenprobleme zu vermeiden, die sich aus den Offenlegungspflichten ergeben.
Bekanntlich sind Fonds von den offengelegten (ESG-)Daten der Unternehmen abhängig, in die investiert wird, Dachfonds wiederum sind von den offengelegten Daten aller zugrunde liegenden Fonds abhängig. Da diese Daten oft noch nicht (vollständig) verfügbar sind, können Fonds keine Angaben zur Nachhaltigkeit machen und ziehen es daher vor, gar keine Angaben zur Nachhaltigkeit zu machen.
Sollte sich dieses Green Bleaching stärker ausbreiten, würde dies die aktuelle Gesetzgebung teilweise irrelevant machen. Aus diesem Grund schlägt die SMSG vor, dass die ESMA versucht, im Rahmen einer Evaluierung der Gesetzgebung Informationen darüber zu sammeln. Auf das Thema Green Bleaching kennt die ESMA augenscheinlich keine Antwort:
Generell möchte die ESMA die Gelegenheit nutzen, um zu bekräftigen, dass der Aktionsplan der Europäischen Kommission zur Finanzierung eines nachhaltigen Wachstums besagt, dass Nachhaltigkeit und der Übergang zu einer kohlenstoffarmen, ressourceneffizienten und kreislauforientierten Wirtschaft von zentraler Bedeutung sind, um die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der EU-Wirtschaft sicherzustellen. Die ESMA hat eine Schlüsselrolle bei der Unterstützung dieses Übergangs, wie in ihrer strategischen Ausrichtung 2020-2022 dargelegt. Die Finanzmärkte befinden sich an einem Wendepunkt, da zu beobachten ist, dass sich die Präferenzen der Anleger in Richtung eines Interesses an Finanzprodukten verschieben, die Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren (ESG) berücksichtigen, die in den letzten Jahren stark zugenommen haben. Darüber hinaus wirken sich Nachhaltigkeitsfaktoren zunehmend auf die Risiken, die Erträge und den Wert von Investitionen aus. Dieses sich verändernde Umfeld hat Auswirkungen auf die Aufgabe der ESMA, den Anlegerschutz zu verbessern und stabile und geordnete Finanzmärkte zu fördern. Die ESMA ist sich der Herausforderungen bewusst, mit denen die Unternehmen bei der Umsetzung der verschiedenen neuen rechtlichen Anforderungen konfrontiert sind, und hat – aufbauend auf ihrer 2020-Strategie für nachhaltige Finanzen – kürzlich einen detaillierten Fahrplan veröffentlicht, um die koordinierte Umsetzung des Mandats der ESMA für nachhaltige Finanzen in den nächsten drei Jahren sicherzustellen.
Wir Wertpapierdienstleister warten nun darauf, dass aus dem Final Report die Final Guidelines werden. Diese finden sich im Final Report bereits auf den Seiten 39 bis 69 wieder. Sind die finalen Leitlinien in der englischsprachigen Fassung veröffentlicht (ich persönlich schätze so gegen Ende 2022/Anfang 2023), treten sie mit einer Übergangsfrist von 6 Monaten in Kraft (also vermutlich irgendwann Mitte 2023). Eine gehörige Verzögerung, wenn wir davon ausgehen, dass wir diese Leitlinien für das Umsetzen der Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen eigentlich schon seit 2. August 2022 benötigen.