Wie nachhaltig sind „grüne“ Finanzprodukte?

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Seit 10. März 2021 müssen die Bestimmungen der Offenlegungsverordnung angewendet werden. Seitdem fluten Produktanbieter den Markt mit grünen und dunkelgrünen Finanzprodukten gemäß Artikel 8 oder Artikel 9 der Offenlegungsverordnung. Wie nachhaltig, ökologisch und sozial investieren solche Finanzprodukte wirklich? Wie viel Greenwashing versteckt sich in ihnen?

Finanzprodukte gemäß Artikel 8 oder Artikel 9 der Offenlegungsverordnung sind nicht per se nachhaltig, ökologisch oder sozial. Die Kennzeichnung alleine trifft keine Aussage darüber, in welchem Ausmaß tatsächlich nachhaltig investiert wird. Die beiden Artikel verpflichten Produktanbieter, wenn sie ökologische oder soziale Merkmale bewerben (Artikel 8) bzw. nachhaltige Investitionen anstreben (Artikel 9), lediglich, Informationen dazu offenzulegen. Wie grün oder dunkelgrün ein Finanzprodukt ist, ergibt sich alleine aus dem Attribut „Artikel 8“ oder „Artikel 9“ nicht.

Erst die parallel zur Offenlegungsverordnung geltenden Taxonomie-Verordnung bringt mehr Licht in den Anteil an nachhaltigen Investitionen. Werden im Finanzprodukt nachhaltige Investitionen getätigt oder mit dem Finanzprodukt ökologische Merkmale beworben, muss der Produkthersteller den Prozentsatz, also den Anteil dieser Investitionen am Gesamtportfolio, angeben. Einen Mindestprozentsatz schreibt die Taxonomie-Verordnung allerdings nicht vor.

Schon ein Prozent macht Finanzprodukte grün

Selbst wenn der Anteil an nachhaltig orientierten Investitionen nur ein Prozent beträgt, könnte sich ein Finanzprodukt grundsätzlich mit der Kennzeichnung „Artikel 8“ oder „Artikel 9“ schmücken. Besonders grün oder dunkelgrün ist es dann nicht, aber gemäß den gesetzlichen Bestimmungen würde das ausreichen. Die Taxonomie-Verordnung fordert lediglich eine zusätzliche Erklärung, nämlich dass die EU-Kriterien für ökologisch nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten nur bei diesen „grünen“ Investitionen berücksichtigt werden und der verbleibende Teil der Investitionen die EU-Kriterien nicht berücksichtigt.

Wird damit Greenwashing eventuell Vorschub geleistet? Ja und nein. Einerseits legt Erwägungsgrund 11 der Taxonomie-Verordnung Greenwashing als jene Praxis fest, sich einen unlauteren Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, indem ein Finanzprodukt als umweltfreundlich vermarktet wird, obwohl in Wirklichkeit grundlegende Umweltstandards nicht eingehalten wurden. Andererseits erfüllt das nur zu einem Prozentpunkt „grüne“ Finanzprodukt die gesetzlichen Bestimmungen.

Grenzwertig bleibt ein verschwindend geringer Anteil an nachhaltigen Investitionen auch im Hinblick auf das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb. Denn dieses definiert eine Geschäftspraktik unter anderem dann als irreführend, wenn sie geeignet ist, einen Marktteilnehmer (Anleger) über wesentliche (ökologische) Merkmale eines (Finanz-)Produktes derart zu täuschen, dass dieser dazu veranlasst wird, eine geschäftliche Entscheidung zu treffen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Sich als nachhaltig, ökologisch oder sozial auszugeben, obwohl man nur zu einem verschwindend geringen Anteil ist, verstößt also eher gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb als gegen Offenlegungs- und Taxonomie-Verordnung.

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Aufsichtsbehörden machen mobil

Als eine der ersten nationalen Aufsichtsbehörden beschäftigt sich die deutsche Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht mit dem Aspekt des Greenwashings. Um zu verhindern, dass Finanzprodukte als ökologisch und sozial investierend ausgegeben werden, ohne dabei tatsächlich einen nennenswerten Anteil an nachhaltigen Investitionen zu tätigen, sollen Mindestprozentsätze festgelegt werden. In einem Konsultationsentwurf sieht die BaFin vor, dass Investmentvermögen zu mindestens 75 Prozent in nachhaltige Vermögensgegenstände investiert sein müssen.

Damit es zu keiner erheblichen Beeinträchtigung von Umwelt- und Sozialzielen im Sinne der Offenlegungsverordnung kommt, dürfen Unternehmen, in die (nachhaltig) investiert wird, ihren Umsatz zu maximal zehn Prozent aus der Energiegewinnung oder dem sonstigen Einsatz von fossilen Brennstoffen oder Atomstrom generieren. Erstaunlicher Weise nimmt die BaFin Gas aus dem Kreis der fossilen Brennstoffe aus.

Nationalstaatlicher Fleckerlteppich

Ebenso wie die BaFin bzw. Deutschland augenscheinlich Gas nicht als fossilen Brennstoff ansieht, ist für Frankreich, das siebzig Prozent seines Stromes aus Atomkraft gewinnt, Atomstrom eine nachhaltige Form der Energiegewinnung. Und Polen wiederum wird die Stromerzeugung aus Kohle nicht ausschließen. Was damit droht, ist ein europäischer Fleckerlteppich an nationalstaatlichen Eigenheiten.

Als würde das nicht schon zu genug Verwirrung führen, kommt noch jenes Greenwashing hinzu, das die EU-Kommission per Verordnung legitimiert. Wie beispielsweise das WLPT-Prüfverfahren für den Normverbrauch von Kraftfahrzeugen. Laut WLPT verbrauchen 2,5 Tonnen schwere SUVs mit 400 PS, weil sie dank 300 Kilogramm Batterien ein paar wenige Kilometer rein elektrisch fahren könnten, gerade einmal 1,8 Liter Benzin auf 100 Kilometer. In der Praxis ist dieser Fabelwert, wie Fahrer solcher Hybrid-SUVs berichten, unerreichbar. Trotzdem rechnen sich Automobilhersteller auf Basis von WLPT-Verbrauchswerten ihren Flottenverbrauch grün. Ist das Greenwashing? Der Hausverstand sagt ja, de facto aber nein, weil eben von der EU legitimiert.

Ist Greenwashing zu verhindern?

In der Realität wird es immer jemanden geben, der in nachhaltigen Investitionen und Handlungen – und seien sie noch so ökologisch – irgendeinen Aspekt von Greenwashing erkennt. Denn die individuellen Sichtweisen und Vorlieben sind viel zu individuell, als dass es eine einheitliche und universell gültige Definition geben könnte. Dazu kommt, dass nichts ausschließlich Vorteile hat, und Greenwashing immer davon abhängig ist, welches Merkmal in den Fokus gestellt wird.

Atomstrom wird sauber erzeugt, hinterlässt aber gefährlichen Abfall. Wasserkraft gilt als erstrebenswerte erneuerbare Energieform, zerstört aber Fluss- und Aulandschaften. Elektro-Autos reduzieren lokale CO2-Emissionen, die Batterien benötigen jedoch Rohstoffe, die unter kritikwürdigen Bedingungen gefördert werden. Billige T-Shirt werden unter prekären Arbeitsbedingungen hergestellt, kaufen wir diese aber nicht mehr, haben hunderttausende Menschen in Asien gar keinen Job mehr. Regional erzeugtes Gemüse und Obst sparen mangels langem Transport CO2 ein, benötigen aber, um ganzjährig im Supermarkt erhältlich zu sein, viel Heizenergie in unseren heimischen Gewächshäusern.

Damit Greenwashing schon im Ansatz erkannt und idealerweise verhindert wird, ist jedenfalls ein genauer Blick auf die jeweilige nachhaltige Investition oder Handlung notwendig. Und selbst dann, sorgen die unterschiedlichen Sichtweisen für reichlich Diskussionsstoff.

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